16.11.
Fahrt von Kathmandu nach Tamghas
Pünktlich um 5 Uhr morgens bringt ein Taxi Emmo und mich zum Bus. Unser komplettes „dental baggage“ wird mit den Utensilien der anderen Mitfahrenden auf dem Dach verstaut und mit einer Plane fest verschnürt. Es ist ein Kleinbus und 18 weitere Gäste reisen mit, ca. 500 km in Richtung Westen.
Wir brauchen ungefähr 1 Stunde, bis wir aus Kathmandu raus sind. Obwohl es noch früh ist, herrscht starker Verkehr und Staub und Auspuffgase verpesten die Luft. Die Straßen sind schlecht und werden in den höher gelegenen Regionen miserabel, sind ungesichert, haben tiefe Löcher und immer wieder fehlen Straßenteile. Unsere Fahrer, die sich abwechseln, sind sehr gut und weichen geschickt den Gefahrenzonen aus. Überholmanöver finden auch in den Kurven statt, werden durch lautes Hupen angekündigt und lassen schon mal den Atem stocken. Zahlreiche Hängebrücken führen über Flüsse und Täler und stellen die Verbindung zur anderen Bergseite her. Wasserfälle stürzen aus zerklüftetem Gestein oder über riesige Steinquader herab und fließen unter den kleinen Brücken hindurch, die wir überqueren. Die Straße nach Pokhara verlassen wir in Mugling und zweigen in Richtung Butwal ab. Dort stecken wir 1 Stunde im Stau fest und ein Verkehrspolizist versucht Ordnung in das Chaos zu bringen. Als es endlich weiter geht zeigt sich die Landschaft breiter und flacher. Wir befinden uns im Terrai, der „Kornkammer“ Nepals. Es ist sehr warm. Die Flüsse sind um diese Jahreszeit fast ausgetrocknet. An den wenigen wasserführenden Stellen baden Menschen oder Wasserbüffel. Die Fahrt geht weiter über Tansen bis Tamghas, wo wir nach 16 Stunden Unterwegssein von Bishnu empfangen werden und die Nacht im annehmbaren Hotel „Nilgiri“ verbringen.
17.11.
Fahrt von Tamghas nach Banjhakateri
Um 3 Uhr nachmittags geht die Fahrt mit dem Jeep weiter. Ungefähr 40 km liegen vor uns....
Im Fahrzeug zähle ich 14 Erwachsene und 1 Baby. Kartons und Kisten füllen jede Lücke aus oder werden auf den Knien abgelegt. Auch Küken, die sich durch aufgeregtes Piepsen bemerkbar machen, sind dabei. Zusammen mit dem Gepäck sitzen auf dem Dach 6 weitere Männer. Der Jeep ist übervoll beladen, ich habe ein mulmiges Gefühl. Emmo und ich haben reservierte Plätze. Unsere privaten Gepäckstücke sind vor uns aufgetürmt. Bishnus Laptop liegt obenauf und dient mir als Schreibpult. Bewegen ist kaum möglich, aber Emmo und ich nehmen es gelassen.
Außerhalb von Tamghas endet die Straße und wechselt in eine Staubpiste. Die Reifen versinken im „Nepalpuder“ und in tiefen Löchern, so dass der Jeep fast aufsitzt. Nach „Rechtsschwapp“ Richtung Abgrund und Luftanhalten, folgt ein „Linksschwapp“ Richtung Berg und ermöglicht das Weiteratmen. Kleine Stopps um Waren und Post abzugeben oder entgegen zu nehmen, sind willkommene Erholungspausen. Die Bewohner in den Bergregionen nutzen diese Gelegenheit, um Neuigkeiten auszutauschen und versammeln sich um den Jeep. Bald wird es dunkel und kalt und wir sehen nur noch, was vom Lichtkegel angeleuchtet wird. Mir tun die Männer auf dem Dach leid. Sie tragen keine festen Schuhe und viel zu dünne Kleidung. Unsere „Trommler“, die auf der Motorhaube rechts und links sitzen und Abstandzeichen zum Abgrund oder zu einem Straßenloch klopfen, frieren ebenfalls. Ihre eindeutige Kauerhaltung lässt das unschwer erkennen.
Während der Fahrt tauchen immer wieder Frauen wie aus dem Nichts auf, in wunderschönen bunten Kleidern und Tüchern, mit Körben voller Holz oder Gras auf dem Rücken, um ebenso geheimnisvoll wieder zu verschwinden.
Meter für Meter und sehr präzise bewegt sich unser Fahrzeug bergauf. Wenn Mitfahrende aussteigen, werden die frei gewordenen Plätze von den verstörten „Dachhockern“ besetzt. Etwa 5 km vor unserem Ziel stoppt der Jeep. Emmo, Bishnu und ich sind die letzten Fahrgäste. Der Fahrer gibt zu verstehen, dass er wegen Benzinmangel umkehren muss. Unser Gepäck wird auf dem staubigen Weg abgelegt. Da stehen wir nun in völliger Dunkelheit, unter dem sternenübersäten, wunderschönen Himmel Nepals, welcher mich versöhnlich stimmt. Bishnu versucht mit seinem Handy Träger anzufordern - der Akku ist leer. Zum Glück funktioniert meines - mit nepalesischer SIM Karte. Nach 1-stündiger Wartezeit sind 3 Träger bei uns und laden das schwere Gepäck in ihre Tragekörbe.
Mit Stirn- und Taschenlampen gehen wir zu Fuß weiter, immer bergauf, über schmale Pfade, wackelige Treppen und abgetretene Steinplatten. Emmo und ich tragen unsere Rucksäcke selber, es ist anstrengend. Auch den Weg mit der Taschenlampe auszuleuchten, einzuschätzen und in der Dunkelheit umzusetzen ist nicht einfach. Nach 4 Stunden Fahrt und 2 Stunden Fußmarsch, völlig verschwitzt und erschöpft, erreichen wir unser Ziel: Banjhakateri. Hier soll für die nächsten Tage unser Zuhause sein. Yamlal empfängt uns mit heißem Tee und Essen. Anschließend zeigt er uns die Zimmer. Über meinen Schlafsack bin ich sehr froh, denn die Bettdecken sind feucht und schwer und der Wind bläst überall herein. Ich bin sehr müde und schlafe schnell ein.
18.-24.11.2011
Praxiseinrichtung und Beginn der „Sprechstunde“ in Banjhakateri.
Es wird Tag, ich stehe früh auf. Die Täler liegen im Nebel, die Bergkuppen stellen sich klar der aufgehenden Sonne entgegen. Ich bin begeistert und fasziniert und mit meinem Foto fange ich diese Morgenstimmung ein.
Frauen kommen vom Berg herunter. Am Rockbund haben sie eine Sichel befestigt mit denen sie das Gras geschnitten haben und nun in großen Büschel mit Hilfe von Seilen und eines Stirnbandes auf dem Rücken tragen. Ihre Kleider sind wunderschön und bunt und leuchten in der Sonne. Die Kinder, welche sehr scheu sind, helfen mit und tragen genau wie ihre Mütter das Gras auf dem Rücken.
Mein Zimmer ist inzwischen von beißendem Rauch eingehüllt, was mir Hustenreiz verursacht. Der Qualm der offenen Feuerstelle aus der Küche, die sich unter mir befindet, durchdringt jeden Spalt. Ich hänge das Bettzeug raus und gehe frühstücken. Yamlal hat schon alles zubereitet. Nach dem Frühstück gehen Emmo und ich in das medical center, um die „Praxis“ einzurichten. Das Gebäude besteht aus drei kleinen Räumen, den größten richten wir ein. Bishnu und Sarita benützen die zwei kleineren Zimmer. Es gibt kein fließendes Wasser. Wir holen es von der Quellleitung oder vom Brunnen. Auch Strom gibt es nur zu bestimmten Zeiten. Bald sind die ersten Patienten da. Viele von ihnen haben 2-4 Stunden Fußmarsch hinter sich. Die meisten plagen akute Schmerzen und wir müssen Zähne und Wurzeln, die oft Granulome oder Eiterherde haben, entfernen. Zum Ausleuchten der Mundhöhle benutzen wir Stirn – und Taschenlampen.
Bishnu, Sarita, Emmo und ich helfen uns gegenseitig. Patienten, die Füllungen brauchen, warten, bis nachmittags Strom für die Bohreinrichtung da ist. Der Bohrvorgang muss mit einer Wasserspritze manuell gekühlt werden, um den Zahn nicht zu überhitzen. Es gibt keine Absauganlage. Daher müssen Füllungen schnell fixiert und gut trocken gelegt werden, bevor der Speichelfluss alles „verwässert“. Die Arbeitstage sind sehr beeindruckend und interessant.
Manche Frauen lehnen es ab in den Spiegel zu schauen. Im Zimmer nebenan bekommt eine junge Frau eine Infusion. Sie hat Fieber und Schüttelfrost. Bishnu verbindet die Kopfwunde eines Mädchens, das sich nach einem Sturz die Schädelhaut aufgerissen hat. Ein elfjähriger Junge mit angeschwollenem Körper und Gesicht und Wassereinlagerungen in den Gliedmaßen muss dringend in eine Klinik nach Kathmandu. Das ist in seinem Zustand fast unmöglich. Die Fahrt dauert 2 Tage und muss von seinen Eltern organisiert und bezahlt werden, dazu kommen Klinikkosten, die sich die armen Leute nicht leisten können. Diese Situation stimmt mich sehr nachdenklich und traurig. Dem Vater gebe ich Geld, doch ich sorge mich um den Jungen und weiß nicht, wie ihm geholfen wird. Ein älterer Mann mit starkem Husten und akuter Atemnot bekommt ebenfalls eine Infusion. Ein anderer hat sich in seinen Sandalen eine Zehe stark verletzt. Bishnus regelmäßige Verbandswechsel lassen die Wunde allmählich heilen. Die Menschen sind sehr liebenswürdig, freundlich und nehmen jede Hilfe dankbar an. Das medical center, einschließlich der „pharmacy“, ist eine lebenswichtige Anlaufstation für sie geworden.
Nach der Sprechstunde stehen 10 Kinder, die inzwischen keine Scheu mehr haben, vor der Tür und fordern mich zum Fußballspielen auf. Die anfangs zurückhaltenden Mädchen machen jetzt alle mit. Obwohl der Ball ohne Luft ist, haben wir eine „Mordsgaudi“ und kicken bis es dunkel wird.
Am 22.11.2011 besuchen wir eine Schule, ca. 1 Stunde von unserem Standort entfernt. Hier werden 270 Kinder unterrichtet. Unser Ziel ist es, den Kindern die Wichtigkeit der Mundhygiene und des Zähneputzens beizubringen, denn bei fast allen Patienten stellen wir diesen Mangel fest. Emmo und ich spenden Zahnbürsten für die Schüler, denn die meisten besitzen keine, außerdem zwei Bälle mit Pumpe für „meine Fußballkinder“.
Am 23.11.2011, unserem letzten Arbeitstag, behandeln wir 30 Patienten. Danach räumen wir auf und machen unser Gepäck reisefertig.
Der Jeep steht am nächsten Tag pünktlich da. Nach der Verabschiedung und mit Wehmut im Herzen fahren wir nach Tamghas und am nächsten Tag nach Kathmandu zurück. Die Fahrt ist stressig aber ohne nennenswerte Vorkommnisse. Nur dem Mann hinter mir ist übel und er hält sich die Tüte vor den Mund...
Anne
Nachtrag von Emmo:
Die zahnärztliche Arbeit in der Bergregion, fernab der nepalesischen Zivilisation, hat ihre eigenen Gesetze. Die Haupttätigkeit besteht in der Schmerzbeseitigung, und in neuerer Zeit auch in Zahnreinigung, besonders bei jüngeren Patienten. Leider müssen in den meisten Fällen stark kariöse und gangränöse Zähne entfernt werden, wobei es durch die meist kompakte Knochenstruktur zu größeren chirurgischen Maßnahmen kommt. Das Zähneputzen wird oft vernachlässigt oder mit harten Zahnbürsten übertrieben und falsch durchgeführt. Die einseitige, horizontale Putzbewegung beschädigt Zahnschmelz und Dentin. So können sich Zahnbeläge und Zahnstein ungehindert ansetzen und es kommt zu überempfindlichen Zahnhälsen und schmerzhaften Zahnfleischentzündungen. Daher ist es für mich sehr wichtig, richtige Mundhygiene, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, zu demonstrieren, um Spätfolgen vorzubeugen.
Emmo